Metal matters

666Heavy Metal ist seit Jahrzehnten sowohl eine der stabilsten und homogensten als auch eine der am wenigsten beachteten kulturellen Formationen. Die Musikform, die sich damit brüstet, die lautesten Konzerte hervorzubringen, ist, was die Auseinandersetzung mit ihr angeht, eine der leisesten Kulturen. Der in Kooperation mit Dr. Herbert Schwaab (Uni Regensburg) entwickelte Forschungsschwerpunkt versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaften zu besetzen und die Komplexität eines Phänomens herauszustellen, das der Massenkultur zuzurechnen ist und sich dennoch dem kulturellen Mainstream verweigert.
In seiner langen Existenz als jugend- und musikkulturelles Phänomen hat Heavy Metal nicht nur spezifische Musikstile, einen kulturindustriellen Komplex und einen eigenständigen, deutlich zu identifizierenden Bilderkanon hervorgebracht, sondern sich vor allem als ein bedeutungsproduktives Sozialisationsprojekt erwiesen. Für mittlerweile mehrere Generationen bietet es die Sicherheit einer populärkulturellen Zugehörigkeit, mit der eine Vielfalt von Möglichkeiten zur Sinnstiftung und der Strukturierung des Alltags verknüpft sind.
Heavy Metal scheint sich in zwei wesentlichen Punkten von anderen Sub- oder Pop-Kulturen abzugrenzen, erstens durch seine langlebige Stabilität und zweitens durch das Ausbleiben einer Bewegung, wie sie Avantgardekulturen der Moderne eigentlich zu Eigen zu sein scheint, nämlich eine sukzessive Integration in die Leit- und Breitenkultur. Heavy Metal bleibt eine hochgradig residuale Kultur, eine aus der Peripherie operierende Formation, die sich dem einfachen theoretischen Zugriff entzieht. Als residuale Kultur bleibt sie diffus, bietet keine deutlichen und ertragreichen Distinktionsangebote, die sich in kulturelles Kapital umsetzen lassen, und lässt sich, anders als Punk oder Hip Hop, nicht als positiv besetzte widerständige Gegenkultur begreifen. Heavy Metal fungiert allenfalls als Bezugspunkt für eine ‚suburb whitness‘ und einer diffusen Abgrenzung gegenüber elterlicher Autorität, er erscheint in einer aktuellen Populärkultur als ein Ort, der die dissidenten, emanzipatorischen und avantgardistischen Optionen von Pop zurückweist und als (soziologisches) Biotop einzig die Möglichkeit zur (a-politischen und anti-ästhetischen) Integration in eine Jugendkultur vorhält.
Dieser Eindruck täuscht aber über die dem Heavy Metal innewohnenden Dynamiken, Produktivkräfte und widerständigen Potentiale hinweg. Nicht nur die erstaunliche Stabilität dieser Kultur und ihre mittlerweile überbordende Ausdifferenzierung in eine kaum zu überblickende Vielfalt von Binnenkulturen, sondern gerade das Widerspiel zwischen einer dem Phänomen innewohnenden Banalität und Eindeutigkeit und einer beharrlichen und irritierenden Verweigerung gegenüber den Mainstream-Kulturen, lassen Heavy Metal als Gegenstand erscheinen, der eine Beschäftigung unter kultur- und medienwissenschaftlicher Perspektive einfordert.
Dabei sind es nicht nur die (naheliegenden) Fragen nach den Produktivkräften der Fankultur oder der Integration des Phänomens in den kulturindustriellen Komplex, die hier produktive Perspektiven eröffnen können. Vorrangige (und provokative) These ist vielmehr, dass Heavy Metal als der Gegenstand zu betrachten ist, an dem sich ein Verständnis für den Wandel von Post- zu einer Nachmoderne in der populärkulturellen Bedeutungsproduktion herauskristallisiert. Heavy Metal ist die letzte große Erzählung der westlichen Kultur, die letzte stabile, klar abgegrenzte und durch ihren Verzicht auf Politik ‚politischste‘ Subkultur. Heavy Metal ist die Feier des homogenen und sexualisierten Körpers. Heavy Metal verspricht die Erfahrung der Unmittelbarkeit, der nicht gebrochenen, mediatisierten oder fetischisierten Teilhabe am eigentlichen Ereignis. Gleichzeitig ist Heavy Metal auch hochironisch und angewiesen auf die bereitwillige, spielerische und bewusste Partizipation ihrer Anhänger am ebenso geschlossenen wie synkretistischen Heavy Metal Universum. Heavy Metal ist der letzte große Versuch des Gesamtkunstwerks und zugleich leichte Beute für (liebevolle) Imitationen und Parodien, die mittlerweile einen eigenständigen Aspekt der Heavy Metal Kultur selbst darstellen. Hier zeigt sich die Komplexität des Phänomens Heavy Metal, das weniger als eine Kultur, denn als eine performative Geste einer hintergründigen Verweigerung gegenüber der Moderne, als auch als deren Neukonzeptionierung erscheint.

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